Der Fall "Sommer"

02_Kollektionen/Besondere
03.07.1958
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Richter Paulus und der „Henker von Buchenwald“

- Matthias Burghardt -

Richter Paulus und der „Henker von Buchenwald“

- Matthias Burghardt -

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand vor dem Landgericht Bayreuth die Strafverhandlung gegen Gerhard-Martin Sommer, den sog. „Henker von Buchenwald“ statt.
 

Das Konzentrationslager (KZ) Buchenwald, vor den Toren der Stadt Weimar in Thüringen gelegen, war eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Es wurde zwischen Juli 1937 und April 1945 als Haftstätte zur Zwangsarbeit betrieben. Insgesamt waren in diesem Zeitraum etwa 277.800 Menschen aus 50 Ländern im KZ Buchenwald inhaftiert. Die Zahl der Todesopfer wird auf etwa 56.000 geschätzt, darunter 15.000 Sowjetbürger, 7.000 Polen, 6.000 Ungarn und 3.000 Franzosen.(1) Bei der Annäherung der 3. US-Armee am 11. April 1945 übernahmen die Häftlinge die Leitung des Lagers von der abziehenden SS, nahmen 125 der Bewacher fest, öffneten die Tore und hissten die weiße Fahne.
 

Sommer war während der NS-Zeit SS-Hauptscharführer und gehörte zum Stammpersonal des KZ Buchenwald. Als verantwortlicher Arrestverwalter und -aufseher behandelte er zahlreiche KZ-Insassen nicht nur auf eine besonders menschenverachtende, sondern auch unvorstellbar grausame und sadistische Weise.
 

Dem Strafverfahren kommt aber nicht nur deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil es das Leiden und Sterben in einem deutschen KZ so unmittelbar beschreibt, sondern auch, weil es sich bei dem Vorsitzenden der Bayreuther Strafkammer, die über Sommer zu urteilen hatte, um Adolf Paulus handelte.  Eben dieser Paulus war in der NS-Zeit Erster Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und dort an 48 Todesurteilen beteiligt. Trotz dieser Vergangenheit wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg Landgerichtsdirektor am Landgericht Bayreuth.
 

Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich, wie die fehlende Aufarbeitung von NS-Justizunrecht auch dazu führen konnte, dass ein NS-Täter über einen anderen zu Gericht saß und wie schmerzhaft dies nicht nur damals für die Verfolgten des NS-Regimes gewesen sein muss, sondern wie beschämend dies auch heute noch nachwirkt. 
 

Anzumerken bleibt außerdem, dass das Verfahren gegen Sommer einen „Vorläufer“ hatte, nämlich das Strafverfahren gegen Ilse Koch, die Ehefrau von Karl Otto Koch, dem Kommandanten des KZ Buchenwald. Auch Ilse Koch hatte sich in besonders sadistischer Weise gegenüber KZ-Insassen verhalten. Sie wurde vom Landgericht Augsburg (Az.: Ks 22/50) am 15.01.1951 u.a. wegen Verbrechens der Anstiftung zu einem Verbrechen des Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.  Sie erhängte sich am 1. September 1967 in ihrer Zelle in der bayerischen Frauenanstalt Aichach, wo sie seit 1949 einsaß. Karl Otto Koch, der Ehemann von Ilse Koch, war bereits kurz vor Kriegsende am 5. April 1945 von einem Erschießungskommando der SS im KZ Buchenwald hingerichtet worden.   

 

 

 

(1) Quelle: Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Fakten und Zahlen zum KZ Buchenwald.



Strafverfahren vor dem Landgericht Bayreuth, Az.: Ks 3/57

Angeklagter:

Sommer, Walter Gerhard-Martin,

geb. 08.02.1915 in Schkölen / Weißenfels

gesch. von Alma Hanna Lang, verh. mit Barbara Ullrich

ohne Beruf, vormals SS-Hauptscharführer im Stammpersonal des KZ Buchenwald,

dort verantwortlicher Arrestverwalter und -aufseher

 

In Polizei- und Untersuchungshaft (U-Haft) seit 22.02.1950 (JVA St. Georgen-Bayreuth)

U-Haftbefehl des Untersuchungsrichters des LG Augsburg v. 23.02.1950

 

Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bayreuth vom 30.07.1952

Angeklagt wurde Sommer wegen einer Vielzahl von Straftaten, u.a. mindestens 48, teilweise gemeinschaftlich begangene sachlich zusammentreffende Verbrechen des Mordes.

 

Das Lesen der in der Anklageschrift enthaltenen Beschreibungen der an KZ-Insassen verübten Grausamkeiten ist kaum erträglich, wir meinen jedoch, dass es dennoch richtig und wichtig ist, die Anklageschrift ungekürzt zu veröffentlichen. Die Opfer und alle Insassen der Konzentrationslager mussten diese menschenverachtenden Misshandlungen täglich erdulden und miterleben. Wir meinen, wir sind es ihnen schuldig, diese Schilderungen als Erinnerung an sie wenigstens zur Kenntnis zu nehmen.  

 

Urteil des LG - Schwurgericht - Bayreuth vom 03.07.1958


Der Angeklagte wird als Mörder in 25 Fällen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.

Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm für dauernd aberkannt.

Er hat die Verfahrenskosten zu tragen.

 

 

Revisionsentscheidung des BGH - 1. Strafsenat - vom 05.05.1959

(Az.: 1 StR 641/58)

 

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Bayreuth vom 03. Juli 1958 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.


Die Revisionsentscheidung des BGH vom 05.05.1959 ist auch und vor allem deshalb bemerkenswert, als die Revision gegen die Entscheidung des Landgerichts Bayreuth u.a. damit begründet worden war, dass das Schwurgericht vorschriftswidrig besetzt gewesen sei. Der Vorsitzende, also Landgerichtsrat Paulus, hätte gar nicht urteilen dürfen. Wenn das Justizministerium die Vorwürfe gegen Paulus früher geprüft hätte, wäre Paulus gar nicht zum Vorsitzenden bestellt worden.

 

Der 1. Strafsenat des BGH meinte hierzu lediglich:

 

„Solange ein Richter im Amt ist, darf und muß er zu den im Gesetz vorgesehenen Aufgaben herangezogen werden.“


Vollstreckung des Urteils gegen Sommer:


Nachdem das Urteil des LG Bayreuth rechtskräftig geworden war, wurde der Verurteilte Sommer am 08.06.1959 von der JVA (Justizvollzugsanstalt) St- Georgen-Bayreuth in die Strafanstalt in Straubing zur Verbüßung der Zuchthausstrafe verlegt.

 

In den Folgejahren wurden mehrfach Begnadigungsersuchen abgelehnt.

 

Am 26.01.1971 entschied das Bayer. Staatsministerium der Justiz (Gns 78/71):

 

„Im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Verurteilten wird die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe gnadenweise in jederzeit widerruflicher Weise für die Dauer der stationären Behandlung des Verurteilten in einem Versorgungskrankenhaus oder in einer anderen geeigneten Krankenanstalt unter (den nachfolgend genannten) Bedingungen unterbrochen.“

 

Am 17.05.1971 wurde Sommer von der JVA Straubing in das staatliche Versorgungskrankenhaus Bad Tölz verlegt. Am 18.10.1972 erfolgte die Rücküberstellung in die Krankenabteilung der JVA Straubing.

 

Folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen wurden bei Sommer diagnostiziert:

  • Amputation des rechten Oberschenkels
  • Amputation des rechten Daumens
  • Osteomyelitis des linken Ellenbogengelenks mit erheblicher Fistelung sowie Versteifung des Gelenks in einem Winkel von 110 Grad und Mittelstellung des Vorderarms
  • Bauchschussverletzung
  • Taubheit rechts nach Radikaloperation sowie Fistelbildung
  • MdE 100 %
  • Bettlägerig bis ans Lebensende

Am 24.09.1973 erging die folgende Entschließung des Bayer. Ministerpräsidenten:

 

„Die weitere Strafvollstreckung wird im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Verurteilten im Gnadenwege für die Dauer der stationären Behandlung des Verurteilten in einer geeigneten Anstalt in jederzeit widerruflicher Weise unter (den nachfolgend genannten) Bedingungen unterbrochen.“

 

Am 25.10.1973 wurde Sommer von der JVA Straubing in die Rummelsberger Anstalten bei Feucht (Stephanusheim) verlegt.

Am 02.07.1982 beantragte Sommers Verteidiger (RA Herman Reichenberger, Bayreuth), die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Am 20.08.1982 erfolgte hierzu eine Anhörung von Sommer durch die hierfür beauftragte Richterin am Amtsgericht Kreil (AG Hersbruck). Am 17.09.1982 entschied die 1. Strafkammer des LG Bayreuth durch Beschluss:
 

Die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Bayreuth vom 03. Juli 1958 – Ks 3/57 – wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.


Der Beschluss wurde mit Beschwerde angefochten, am 03.03.1983 traf das OLG Bamberg - Strafsenat (Az.: Ws 564/82) folgende Beschwerdeentscheidung:

  1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Bayreuth vom 17. September 1982 wird verworfen.
  2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

 

Am 21.05.1986 beschloss die 1. Strafkammer des LG Bayreuth (aufgrund des mittlerweile in Kraft getretenen 23. Strafrechtsänderungsgesetzes v. 13.04.1986):

Das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Bayreuth vom 3.Juli 1958 wird im Strafausspruch dahingehend abgeändert, daß auf eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe erkannt wird.


Am 10.11.1986 beantragte Sommers Verteidiger (RA Gerhard Baczko, Erlangen) ein weiteres Mal, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Am 10.12.1986 erfolgte daher erneut eine Anhörung des Verurteilten durch den hierfür beauftragten Direktor am Amtsgericht Dr. Görlach (AG Hersbruck). Am 12.02.1987 entschied die 1. Strafkammer des LG Bayreuth:

Die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Bayreuth vom 03. Juli 1958 – Ks 3/57 – wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.


Nach erneuter Beschwerde beschloss der Strafsenat des OLG Bamberg (Az.: Ws 122/87) am 09.07.1987:

  1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Bayreuth vom 12. Februar 1987 wird verworfen.
  2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

 

Hiergegen legte der Verurteilte Sommer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (dortiges Az.: 2 BvR 1190/87) ein.

Am 07.06.1988 verstarb Sommer im Stephanusheim der Rummelsberger Anstalten.

Am 25.08.1988 beschloss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG):

Das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist erledigt.